Montag, 21. März 2016

Saunaschule im Spaßbad

Die Frage des Tages lautet: Was haben eigentlich Spaßbäder mit Schulen gemeinsam?


Humboldpinguin Quelle: Wikipedia (https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Akumiszcza)

Nein, ich rede nicht von Dezibel oder von Farbspektren.

An den Gearderobenschränken des neulich von mir besuchten Spaßbades fanden sich Hinweise, dass bitte keine Liegen zu reservieren seien.
Nun ja.
Mir persönlich war es egal, dass alle von mir gesichteten Liegen zwar nicht besetzt aber durch Handtücher belegt waren. Ich bin vielleicht verrückt genug, ein Spaßbad zu besuchen. Aber so irre, dass ich mich zum Entspannen direkt vor dem Wellenbecken - der Lärmquelle Nr. 1 - betten wollte bin ich dann doch nicht.
Auch sonst schien sich niemand darum zu kümmern.
Während Seitens des Bademeisters strikt darauf geachtet wurde, dass sich bei Wellengang keiner zu nah an den Beckenrand mit der Wellenmaschine wagte (der bekam dann wenigstens was zu tun als ich da war), schien es für die Liegen keinen zuständigen "Wachdienst" zu geben.
Dieses kapitulierende Achselzucken wurde meines, als ich im Saunabereich des Bades eine ähnliche Lage der Dinge erblickte.
Hm.
Da würde es meinem Schatz und mir wohl schwer werden, für die zwischen den Saunagängen obligatorische Ruhephase einen Platz zu finden. Dabei war es im Spa Bereich nicht nur deutlich ruhiger als im Spaßbad, es wirkte auch viel leerer. Gut besucht, aber nicht voll.
Tatsächlich wären wohl 80, wenn nicht sogar 90 Prozent der Liegen frei gewesen, wenn sie eben nicht durch Handtücher belegt worden wären.
Nun ja.
Die Menschen sind eben so.

Schließlich entdeckten mein Schatz und ich einen als "Raum der Stille" deklarierten abgetrennten Bereich, auf dessen Tür folgendes zu lesen war:
"In diesem Raum wird um absolute Ruhe gebeten. Das belegen von Liegen mit Handtüchern ist nicht erlaubt. Reservierte Liegen werden vom Personal geräumt."
Super, dachten wir. Problem gelöst.

In dem Raum mit etwa 40 Liegen waren nicht mal 10 mit Ruhenden belegt und es fanden sich immerhin ganze (!) 3 Stück, auf denen keine Handtücher lagen.

Ein bisschen mulmig war mir schon, als mein Liebster und ich nach unserer Ruhephase beschlossen, mit gutem Beispiel voranzugehen und unsere Liegen kompett zu räumen.
Wir verstauten also alle Handtücher, die wir nicht mit in die Sauna nehmen würden, in einem der zahlreich bereitgestellten Regale und siehe da: Als wir zurück kamen waren die 2 Liegen noch frei, und außerdem (vielleicht lag es an der vorgerückten Zeit?) 3 weitere!

Ich war mit der Regel - mäßigen Säumigkeit in diesem Betrieb versöhnt. Doch bevor die Phantasien, in denen ich alle Handtücher persönlich von den Liegen sammle und als großen Stapel am Infothresen abgebe, ganz abgeklungen waren, wurden wir Zeugen der folgenden Szene:

"Entschuldigen Sie, aber das waren unsere Plätze."
"Nein, das war meine Liege, hier lagen meine Sachen."
"Also! Wir waren doch vor kaum 10 Minuten noch hier und das waren unsere Liegen!"
"Hier sind doch auch noch unsere Sachen. Wahrscheinlich habe Sie die selbst rübergeräumt!"
"Ja, dann haben Sie eben Pech gehabt, hier darf man eh keine Liegen reservieren. Ich bin auch weggeräumt worden!"
"Aber Sie dürfen das oder was?! Wenn Sie sich hier Liegen reservieren, dann könne wir das ja wohl auch!"
"Komm dann gehen wir eben da hin. Das hat ja keinen Sinn hier!"

Während der Mann sich noch eine ganze Weile laut flüsternd aufregte, verlangten meine Saunaerschöpfung und ich immer deutlicher nach etwas mehr Ruhe im "Raum der Stille"
Ein Verlangen, dass das laute Geflüster des streitbaren Pärchens schließlich mit einem laut zischenden "Pssst" durchbrach, was der Mann mit einem verächtlichen "Jetzt regt die sich schon auf." quittierte.
Offensichtlich fand der diese ganzen Regeln lächerlich.
Ist ja auch logisch, wenn sich eh keiner dran hält.

So richtig lustig wurde es aber erst, als ein älteres Pärchen reinkam. Der Mann war mir schön mal aufgefallen, weil er sich trotz - oder wegen? - seines vorgerückten Alters nicht mal bemühte, im "Raum der Stille" leise zu sein. Weder flüstern noch schweigen schienen für ihn eine bekannte Option.
Nun ja, dachte ich mir, die sind gerade reingekommen und sortieren sich noch, die werden bestimmt gleich... Nach gefühlt 10 Minuten - wahrscheinlich waren es nur 5 - hatte ich die Nase voll:
"Mein Gott, dann gehen Sie doch raus, wenn Sie sich unterhalten wollen!" entfuhr es mir in nicht gerade freundlichem Ton.
Das war  natürlich unzumutbar unhöflich von mir.
Der bereits aus dem Liegenstreit bekannte Herr fuhr mich auch gleich an: "Ja dann geh doch ins Kloster!"
Ich brachte gerade noch eine Replik a lá "Hier gibt es doch genug andere Räume mit Liegen..." hervor, dann versank ich in staunendem Grübeln über die Sache.

Ich meine, darauf, einen Vorschlag zum Klosterbesuch als Beleidigung zu benutzen, muss man auch erst mal kommen.

Aber vor allem fiel mir auf, dass ich dieses Problem aus der Schule kenne:
Da niemand die Regeln durchsetzt, empfinden es die Betroffenen als ungerecht, wenn ausgerechnet sie sich daran halten sollen. Und jeder, der aus der Gruppe heraus versucht, die Befolgung der Regeln anzumahnen, rutscht in die Position des Verräters und avanciert so zum Arschloch des Tages.

Ich kenne das, wenn Schüler, die sonst als brav und strebsam bekannt sind, auch beginnen, laut zu quatschen, nachdem sich erst mal eine gewisse Unruhe im Klassenraum breit gemacht hat, die letztlich dadurch entsteht, dass der Leher Regelverstöße nicht rechtzeitig und nicht deutlich genug geahndet hat. Gerade junge und von Natur aus gutmütige Kollegen, bei denen man eigentlich denken würde, Schüler mögen sie besonders gerne, haben deshalb oft Schwierigkeiten. Dabei schätzen unruhige Schüler es durchaus, wenn man für sie Verständnis hat und ihre Bemühngen, trotz Hibbeligkeit gut mitzuarbeiten, hornoriert.
Aber:
Gerade die schwierigen Schüler, die trotz natürlicher Inkompabilität mit dem System Schule fachlich gute Leistungen erbringen oder zumindest dazu fähig sind wissen, dass sie auch Hilfe dabei brauchen, sich selbst zu disziplinieren.
Und für die Klasse muss der Lehrer auch als Garant der schulischen Ordnung stehen können. Wenn er diese nicht gewährleisten kann, weil er aus Gutmütigkeit Ausnahmen macht und Regelverstöße nicht ahndet, verliert er an Glaubwürdigkeit, weil es als ungerecht empfunden wird.
Sich an Regeln halten muss sich nämlich auch lohnen. Die meisten Lehrer sind mit Lob eher sparsam. Folglich gerät das System in die Schieflage, wenn Regelverstöße keine spürbaren Nachteile mit sich bringen.

Und genau das konnte man im "Raum der Stille" auch beobachten.

Man könnte das Problem lösen, indem die Mitarbeiter wirklich alle 5 Minuten alle reservierten Liegen räumen und die Betroffenen sich ihre Handtücher dann an der Infotheke abholen müssen.
Oder, man verbietet das Mitbringen eigener Bademäntel und Handtücher und gibt dieselben kostenlos an die Besucher aus, so dass letztere alle gleich aussehen und deswegen auch nicht mehr zum Reservieren von Liegen taugen.

Mein Schatz und ich jedenfalls hatten mit der Imagination entsprechender Szenarien viel Spaß.

Abschließend fiel uns noch die Parallele zu einem auch in der Psychologie aus sozialwissenschaftlicher Forschung bekanntem Phänomän auf: Dem broken-windows-Effekt.

Das Handtuch auf der Liege ist das zerbrochene Fenster der Sauna.
Und der zu gutmütige Leherer das im System Schule. (Ups, was! - Das habe ich nicht gesagt.)

Sonntag, 13. März 2016

Neue alte Wege

Vor einiger Zeit kontaktierte mich meine Nichte zwecks Wanderratschlägen.
Abgesehen davon, dass ich aus diesem Anlass mal wieder feststellte, dass ich mich schon als Kind nicht umsonst gut mit ihr verstanden habe, machte mich die von ihr geplante Route neugierig:

"Nach Rom? Da läufst du doch bestimmt auch auf einem alten Pilgerweg..."

Tatsächlich verläuft der neue europäische Wanderweg E12 entlang des Mittelmeeres teilweise auf einer Route des Jakobsweges und teilweise auf der Via Francigenia, dem ältesten Pilgerweg der westlichen Welt, der entlag alter Römerstraßen von Canterbury nach Rom führt und gerade wiederentdeckt wird.

Interessannterweise vereinen sich diese historischen Wege tatsächlich an mehreren Stellen. Es gibt sogar Theorien darüber, dass die Via Francigenia irgendwann in entgegengesetzer Richtung beschritten wurde, weil Rom sozusagen in den Wirren der Zeit versank, in welcher sogar das Papstum nach Avignon auswanderte.
So ist es denn auch nicht erstaunlich, dass sich die Route, die Montpellier mit Rom verbindet unter anderem auch auf einer Karte zur Übersicht über europäische Jakobswege findet.

Der Wanderweg E12 ist im Gegensatz dazu so neu, dass in mehreren Quellen auf die scheinbar vor allem in Frankreich noch unzureichende Kennzeichnung hingewiesen wird.

Da scheint es mir doch lohnend, sich an den alten Pilgerstrecken zu orientieren und, ausgerüstet mit Pilgerausweis und Empfehlungsschreiben, in Pfarrhäusern und Klöstern Unterkunft zu suchen.


So. Das alles ist ja schön und gut.
Aber was genau macht aus den Gedanken über die Wanderpläne meiner Nichte einen Blogbeitrag?

Ich sehe mich jetzt irgendwie vor der Frage, ob das Wandern entlang alter Pilgerrouten tatsächlich immer beliebter wird, oder ob mir das vorher nur noch nicht aufgefallen war. Also, bevor ich zwei mal den Jakobsweg gegangen bin.

Der Artikel des Deutschlandfunks zur Via Francigenia thematisiert das Phänomen genau so wie viele andere. So subsummiert ein bayrischer Sozialverband das zunehmende Pilgern unter dem Etikett "Reise zu sich selbst", während das Schlagwort "Beten mit den Füßen" im Titel einer lübecker Zeitung einen religiösen Bezug vermuten lässt. Auch die christlichen Zeitungen Idea und die Tagespost thematisieren das zunehmende Interesse am Pilgern.

Was aber macht das Pilgern in unserer nicht nur säkularisierten sondern auch durch ein gewisses Misstrauen gegenüber den christlichen Kirchen geprägten Welt mehrheitsfähig?

Ich denke, dass die Interpretation des Intersses am Pilgern als einer Art "Reise zu sich selbst" oder "spirituellen Reise" zwar treffend ist, aber zu kurz greift.
Die Entscheidung, gerade einer alten Pilgerroute zu folgen und nicht etwa irgendwo in Asien von Tempel zu Tempel zu ziehen muss meiner Meinung nach schon auch einen identifizierbaren Grund haben.

Was ich damit sagen will ist, dass sich offenbar immer mehr Menschen zu den Routen hingezogen fühlen, die von Gläubigen Menschen und von der Geschichte Europas geprägt wurden, letztere aber auch mit geprägt haben, um es mal etwas pathetisch auszudrücken.
Dabei vermute ich keineswegs primär ein kulturhistorisches Interesse. Meine eigene Erfahrung mit Pilgern, denen ich auf dem Weg begegnet bin, legt nahe, dass der Gedanke des Wanderns als Zugang zu einer Langsamkeit und Innerlichkeit bei vielen letztlich die Grundlage der Idee ist, auf Pilgerschaft gehen zu wollen. Diese Grundidee kann auf vielerlei Weise Gestalt annehmen.
Die Einen wollen ihre Grenzen austesten, sich selbst auch körperlich mal ganz neu erleben, Andere sehen in der schieren Dauer und im Rhythmus des Gehens eine Chance zur Besinnung, und so Manchen macht die Ahnung, dass es sich bei so einem Pilgerweg um eine fremdartige Erfahrung handelt, bei der man auch scheinbar bekanntes neu und anders wahrnimmt, schlicht neugierig.

Wie oft sind Sie schon an einer alten und für die jeweilige Gegend bedeutenden Kirche vorbeigekommen, hineingegangen?

Was, wenn diese Kirche aus demselben Grund gebaut wurde, aus dem Sie dort vorbeikommen; weil ein Pilgerweg dort entlangführt?

Immernoch handelt es sich weder um die erste noch um die letzte Kirche, die Sie je gesehen haben. Aber als Pilger gehören Sie zu der Gruppe, für die diese Kirche errichtet wurde...

San Anton am Jakobsweg. Eigenes Foto

Man könnte das Pilgern als eine Art slow food des Lebens bezeichnen.

Letztlich sind alle Kirchen für die Menschen errichtet worden; sei es, damit sie hineingehen, oder damit sie sich und ihre Stadt repräsentiert sehen können. Aber im Alltag lassen wie diese Tatsache nur selten so nah an uns heran, dass sie zu unserer eigenen Erfahrung wird.

Auch im Leben müssen wir uns oft auf neue, unbekannte Wege begeben, bauchen wir mal mehr mal weniger Geduld, bis wir auf den nächsten Wegweiser treffen. Auch im Leben gibt es Menschen, die uns nur ein Stück begleiten, die wir aber dennoch nie vergessen werden, und andere, mit denen wir lange zusammen gehen, ohne uns vielleicht gegenseitig besonders wahrzunehmen.
Oft erleben wir viel Schönes, wenn wir einmal die Zeit, die Kraft und den Mut zusammennehmen, uns unseren Mitmenschen zu öffnen und nicht zuletzt auch auf uns selbst zu vertrauen.
So ein Pilgerweg bietet einen Erfahrungsraum, der vor allem Letzteres wirklich erleichtert.

"The Camino has it's own mind." sagen die Jakobuspilger gerne.
Und: "The Camino provides."

Damit ist einerseits nichts neues gesagt: Das Leben läuft nicht immer so wie geplant, ist ein Spruch, den wir auch aus dem Alltag kennen.
Nur, dass er im Alltag nicht so sympathisch klingt.
Und der Spruch: Wo ein Problem ist, findet sich auch die passende Lösung, wirkt oft wenig vertraueneinflößend, ja geradezu sarkastisch auf uns, obwohl er ja doch zutreffend ist.

Die Idee, dass man sich auch dann sicher und geborgen fühlen kann, wenn man gerade nicht in einer komfortablen Lebensituation ist, ist heute vielen Menschen fremd geworden.
In einer Gesellschaft, in der ständig alles zur Diskussion steht, ist das Konzept des Gottvertauens nur noch schwer vermittelbar.
Dass Zuversicht dennoch eine urmenschliche Einstellung ist, kann so ein Pilgerweg auf wunderbare Weise vermitteln.


Aber Moment.
Habe ich mich jetzt im Kreis gedreht?
Gerade diese Zuversicht kann doch auch ein Pilger zwischen buddhistischen Tempeln finden.


Vielleicht haben wir ja in den westlich zivillisierten Ländern inzwischen einen Punkt erreicht, der so weit von unseren christlichen Wurzeln entfernt ist, dass wir uns wieder dafür zu interessieren beginnen.

Ich meine damit nicht, dass eine Neuevangelierung wahrscheinlicher geworden ist, oder, dass die Menschen wieder Vertrauen in die Kirchen gewinnen würden.
Was ich meine ist folgendes:
Nachdem wir alle christlichen Werte und Traditionen so gründlich abgeschüttelt haben, dass wir für sie nicht einmal mehr das geringste Verständnis aufbringen können, wird einigen von uns klar, dass sie Teil unseres Innersten sind. Dessen, was wir zu befreien gedachten, als wir alles hinter uns ließen, was uns - tatsächlich oder scheinbar - an unserer Selbstverwirklichung hinderte.

Denn ohne Gottvertrauen kann man, gerade dann, wenn man alles in Frage und zur Diskussion stellt, nur schwer leben.