All deine Wellen und Wogen schlugen über mir zusammen (PS 42), doch mit Gott gehe ich durch alle Stürme. --- Bei mir findet sich: ALLTÄGLICHES - persönliche Erfahrungen, SONNTÄGLLICHES - Theologisches und Betrachtungen zu Bibelstellen, LYRISCHES - selbstgeschriebene Gedichte von Psalmen inspiriert, GESELLSCHAFTSPOLITISCHES - meine Sicht auf die Diskurse der Zeit und die zeitgenössische Art des Diskutierens
Freitag, 28. August 2015
Bloggen für Flüchtlinge
Nicht lustig, und zwar nicht im Sinne der bekannten Website, finde ich, wie die Auseinandersetzung um die momentan zugespitzte Situation von Asylbewerbern von Gruppen dominert wird, welche sich selbst als "die Besorgten" verstehen, während sie gleichzeitig mit propagandistischen Argumenten arbeiten und jede sinnvolle Diskussion im Keim ersticken.
Dabei fallen mir mehrere Sachen auf. Am wichtigsten, und in der Auswirkung auf das öffentliche Leben am deutlichsten, scheint mir jedoch folgendes:
Die Notlage der betroffenen Flüchtlinge gerät aus dem Blick.
Überhört werden die Stimmen derer, die nicht nur nicht finden, dass die Asylbewerber eigentlich gar nicht hier sein sollten, sondern die auch zu spontaner Hilfe bereit sind.
Natürlich ist es wichtig, dass das Flüchtlingsproblem diskutiert wird.
Dazu muss man jedoch erst mal genug Sachlichkeit aufbringen, um anzuerkennen, dass nicht die Anwesenheit von Asylsuchenden an sich ein Problem ist.
Probleme sind organisatorischer Natur: die Anträge der Flüchtlinge müssen bearbeitet werden, gleichzeitig muss man die Leute während der Bearbeitungszeit irgendwo unterbringen.
Sie sind verwaltungstechnischer Natur: für die Bearbeitung der Anträge braucht es Personal, auch Zugänge zu Hilfeleistungen müssen geregelt werden, auch eine Erfassung von Beruf oder Ausbildung wäre sinnvoll.
Außerdem haben die Asylbewerber häufig auch Probleme, die eine psychologischen Betreuung erfordern.
Doch bevor all dies relevant wird ist es erst mal ein humanitäres Problem.
Hilfe ist vonnöten. Umso mehr, da die Menschen, welche destruktives Verhalten beisteuern, bereits laut sind.
Doch auch eine argumentative Auseinandersetzung ist wichtig. Die öffentliche Diskussion zum Thema sollte sachlicher und konstruktiver werden. Medien, die Stimmung machen und Ängste schüren handeln meiner Meinung nach absolut unverantwortlich.
Und dabei scheinen mir manche Dinge so offensichtlich.
Zum Beispiel: Wieso demonstrieren "die Besorgten" eigentlich vor Flüchtlingsheimen?
Offensichtlich geht es hier darum, Menschen einzuschüchtern und eben nicht um den Wunsch nach politischer Problemlösung. Denn sonst müsste man ja vor den zuständigen Ministerien demonstrieren.
(Mal ganz abgesehen davon, dass ein Gedankengang schon sehr kraus sein muss, wenn er es akzeptabel findet, eh schon traumatisierten Menschen Angst machen zu wollen und gleichzeitig glaubt, man könne die Leute dadurch loswerden, während doch ihr Antrag noch läuft.)
Zum Beispiel: Seit wann ist es akzeptabel, Menschen die nichts haben selbst die Notunterkunft im Baumarkt zu neiden?
Asylbewerber erhalten Sachleistungen wie Essen, Unterkunft und Kleidung sowie ein Taschengeld. Der Gesamtwert aller Leistungen beträgt 287 bis 359 € im Monat und liegt damit unter dem, was Hartz-IV Empfänger zusätzlich zur vom Amt gezahlten Miete bekommen.
Zum Beispiel: Ob ein Asylheim in der Nachbarschaft wirklich ein Grund zur Sorge ist, kann man leicht überprüfen. Wenn man skandierend auf der Straße steht, findet man das jedoch nicht heraus.
Helfen kann man mit seiner Stimme, seiner Zeit, mit Sachspenden oder Geld.
Umso erfreulicher finde ich die Initiative Blogger für Flüchtlinge.
Über Betterplace.org werden Spenden gesammelt.
Ehrenamtliche Hilfe ist äußerst wichtig. Wer selbst keine Zeit oder Mittel hat, kann über den obigen Link helfen.
Wer kann und will, wird sogar dabei unterstützt, sein (freies) WG-Zimmer an Flüchtlinge zu vermieten.
Argumentationshilfen gegen Vorurteile gibt es hier und hier.
Sogar die Humboldtuniversität zu Berlin hat sich etwas einfallen lassen, um Flüchtligen zu Integrationsmöglichkeiten zu verhelfen.
Ich bin im Moment in mehrfacher Hinsicht verhindert:
Dank eines Unfalls kann ich nicht irgendwo hingehen, um zu helfen oder Spenden abzugeben.
Dank meines neuen Jobs und mit abweichendem Zahltag ist mein Konto derzeit bis Oberkante Dispolippe überzogen und ich kann also nichts spenden.
Dennoch erlaube ich mir, hiermit zu Hilfeleistungen aller Art aufzurufen.
Mittwoch, 19. August 2015
Now it gets hard
Vor einiger Zeit ging ein Aufschrei durch die Social-Media-Welt: Cecil der Löwe war ermordet worden. Von einem amrikanischen Zahnarzt. Und das, obwohl doch jeder anständige Mensch weiß, dass Löwen vom Aussterben bedroht sind und geschützt werden müssen. Übel.
Der Shitstorm hatte sich gewaschen. Gleichzeitig fragten sich so manche Simbabwer, wieso von allen Problemen des Landes gerade Cecil die westlichen Medien erobert hatte. War es wegen des tollen Namens?
So ganz nebenbei ging auch der Planned Parenthood Skandal im Sturm unter.
Eine Abtreibungsfirma, ach nein, ...Care Center irgendwas Organisation, verkauft Organe von abgetriebenen Feten. Mitarbeiter diskutieren beim Essen, wie man die Abtreibung so manipulieren kann, dass begehrte Körperteile intakt bleiben.
Öch nö oder?
Meine Lust, sich mit all diesem zu beschäftigen, wird stark beeinträchtigt von dem spontanen Verlangen, mich zum Heulen in eine Ecke zu hocken und nicht mehr raus zu kommen.
Gleichzeitig bringt die Sache - in Kombination mit Cecil - so einiges an die Oberfläche, das ich gern zu bedenken geben möchte.
Zunächst mal. Was zum Teufel hat das eine mit dem anderen zu tun?
Ein meiner Meinung nach brillianter Artikel in der LA Times hebt hervor, dass Tierschützer und Abtreibungsgegner mit denselben Argumenten und emotionalen Grundhaltungen argumentieren.
Bedrohte Tierarten können sich nicht selbst helfen. Wenn ihr Lebensraum bedroht ist sind sie darauf angewiesen, dass Menschen ihr Existenzrecht anerkennen und gegen Angriffe verteidigen.
Feten können sich nicht selbst helfen. Wenn die Frau, in deren Gebärmutter sie leben, in Schwierigkeiten steckt sind sie darauf angewiesen, dass Menschen ihr zu Hilfe kommen und sie richtig informieren, so dass das werdende Leben gerettet werden kann.
Achja, natürlich ist das bei Konfliktschwangerschaften viel problematischer.
Schließlich kann niemand die Frau zwingen, dem Fetus ihren Körper als Lebensraum zur Verfügung zu stellen.
Mich persönlich irritiert diese Aussage jedes Mal.
Was bitte soll das heißen?
Mein Bauch gehört mir und das Kind der Organspendemafia?
Ich möchte Frauen, die durch eine unerwartete Schwangerschaft vor Probleme gestellt werden, nicht verunglimpfen. Doch dieses Argument scheint mir einfach so absurd, dass ich immer wieder neu verblüfft bin, wenn der Zynismus dahinter unbemerkt bleibt. Schließlich könnte das Kind doch dasselbe sagen. Es ist ja kein Körperteil seiner Mutter, sondern ein eigenes menschliches Lebewesen. Selbst die Plazenta, mit der es über die Nabelschnur verbunden ist, besteht aus Fetalem und mütterlchem Gewebe und ist nicht einfach nur ein Teil des mütterlichen Uterus, sondern eine Art Nahtstelle zwischen beiden Körpern.
Und: Wer sagt eigentlich, dass es für Einheimische betroffener Regionen einfacher ist, auf Naturschutz Rücksicht zu nehmen, als es für eine Mutter in einem westlichen Land wäre, eine Lösung für eine Konfliktschwangerschaft zu finden, bei der das Leben des Kindes nicht geopfert werden muss?
Frauenhäuser, Möglichkeiten zur anonymen Geburt, ein Adoptionsrechtssystem, Babyklappen. Psychologische Beratung und Beistand während einer Problemschwangerschaft sowie Hilfe bei z.B. Wochenbettdepressionen sind nicht schwerer zu organisieren als ein Beratungsgespräch und eine Abtreibung.
Ich bezweifle, dass es für Wilderer immer leichter ist, andere Einkommensquellen aufzutun.
Zugegebenermaßen verfüge ich nicht über detaillierte Kentnisse zum Thema der Ursachen illegalen Raubbaus an der Natur in Entwicklungsländern.
Ich denke jedoch, man kann gar nicht oft genug betonen, dass es in den meisten Ländern der sogenannten westlichen Welt genug Alternativen zur Abtreibung gibt. Sei es der Zugang zu Verhütungsmitteln aller Art, Begleitung einer schwierigen Schwangerschaft oder eine Versorgung im Sinne von anonymer Geburt mit Freigabe des Kindes zur Adoption.
Achja, natürlich ist es leichter, das Problem zu lösen bevor ein Kind daraus wird.
Nach der Befruchtung heißt das entstandene Lebewesen zunächst Zygote, dann Morula, Blastocyste, schließlich Embryo und im letzten Entwicklungsstadium Fötus. Doch zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung ist es ein menschliches Wesen, dessen Chromosomenzahl und -Art es nicht nur als seiner Spezies und einem bestimmten biologischen Geschlecht zugehörig, sondern auch als mit seinen Eltern verwandt definieren.
Das Geschlecht ist etwa ab der 15. Woche sichtbar, ab der 18. Woche schluckt der Fötus Fruchtwasser, nur eine Woche weiter bewegt er sich wahrnehmbar und auch die Herztöne sind bereits stark genug, um hörbar zu werden.
Doch sollte es hier wirklich um die menschliche Gestalt gehen?
Was genau ist denn diese menschliche Gestalt?
Kann man die verlieren, z.B. durch einen entstellenden Unfall mit großflächigen Verbrennungen im Gesicht? Oder wenn man im Alter einen Buckel bekommt?
Gehört da ein bestimmtes Denk- und Artikulationsvermögen dazu? Wie niedrig muss ein IQ sein, damit die betreffende Person kein Mensch mehr ist?
Entweder der Mensch ist Mensch, weil er Mensch ist, oder er ist nichts.
Doch lassen wir doch die Abtreibungsbefürworter selbst sprechen: Was ist denn also das, was nach einer Abtreibung übrig bleibt?
Wie jetzt?
Es ist menschlich genug, um für die Forschung von Interesse zu sein?
Aha.
Mann kann also menschliches Material davon gewinnen... Aber es hat keine Menschenrechte, bzw. kein Recht auf Leben als Mensch. Klar.
Wie genau kann man das (begrifflich) fassen?
Wie jetzt?
Es ist ein Junge?
Ich dachte, es gibt sowas wie Kinderrechte... Und die würden für Jungen jeden Alters gelten, ebenso wie für Mädchen?
Übrigens definiert die UN Kinderrechtskonvention, dass "jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat" ein Kind ist.
Von einer Einschränkung nach unten steht da nichts. Weder "nach der Geburt" noch "ab der [xy-sten] Woche nach der Empfängnis".
In Artikel 6 ist dagegen zu Lesen, dass jedes Kind ein Recht auf Leben hat.
Der Shitstorm hatte sich gewaschen. Gleichzeitig fragten sich so manche Simbabwer, wieso von allen Problemen des Landes gerade Cecil die westlichen Medien erobert hatte. War es wegen des tollen Namens?
So ganz nebenbei ging auch der Planned Parenthood Skandal im Sturm unter.
Eine Abtreibungsfirma, ach nein, ...Care Center irgendwas Organisation, verkauft Organe von abgetriebenen Feten. Mitarbeiter diskutieren beim Essen, wie man die Abtreibung so manipulieren kann, dass begehrte Körperteile intakt bleiben.
Öch nö oder?
Meine Lust, sich mit all diesem zu beschäftigen, wird stark beeinträchtigt von dem spontanen Verlangen, mich zum Heulen in eine Ecke zu hocken und nicht mehr raus zu kommen.
Gleichzeitig bringt die Sache - in Kombination mit Cecil - so einiges an die Oberfläche, das ich gern zu bedenken geben möchte.
Zunächst mal. Was zum Teufel hat das eine mit dem anderen zu tun?
Ein meiner Meinung nach brillianter Artikel in der LA Times hebt hervor, dass Tierschützer und Abtreibungsgegner mit denselben Argumenten und emotionalen Grundhaltungen argumentieren.
Bedrohte Tierarten können sich nicht selbst helfen. Wenn ihr Lebensraum bedroht ist sind sie darauf angewiesen, dass Menschen ihr Existenzrecht anerkennen und gegen Angriffe verteidigen.
Feten können sich nicht selbst helfen. Wenn die Frau, in deren Gebärmutter sie leben, in Schwierigkeiten steckt sind sie darauf angewiesen, dass Menschen ihr zu Hilfe kommen und sie richtig informieren, so dass das werdende Leben gerettet werden kann.
Achja, natürlich ist das bei Konfliktschwangerschaften viel problematischer.
Schließlich kann niemand die Frau zwingen, dem Fetus ihren Körper als Lebensraum zur Verfügung zu stellen.
Mich persönlich irritiert diese Aussage jedes Mal.
Was bitte soll das heißen?
Mein Bauch gehört mir und das Kind der Organspendemafia?
Ich möchte Frauen, die durch eine unerwartete Schwangerschaft vor Probleme gestellt werden, nicht verunglimpfen. Doch dieses Argument scheint mir einfach so absurd, dass ich immer wieder neu verblüfft bin, wenn der Zynismus dahinter unbemerkt bleibt. Schließlich könnte das Kind doch dasselbe sagen. Es ist ja kein Körperteil seiner Mutter, sondern ein eigenes menschliches Lebewesen. Selbst die Plazenta, mit der es über die Nabelschnur verbunden ist, besteht aus Fetalem und mütterlchem Gewebe und ist nicht einfach nur ein Teil des mütterlichen Uterus, sondern eine Art Nahtstelle zwischen beiden Körpern.
Und: Wer sagt eigentlich, dass es für Einheimische betroffener Regionen einfacher ist, auf Naturschutz Rücksicht zu nehmen, als es für eine Mutter in einem westlichen Land wäre, eine Lösung für eine Konfliktschwangerschaft zu finden, bei der das Leben des Kindes nicht geopfert werden muss?
Frauenhäuser, Möglichkeiten zur anonymen Geburt, ein Adoptionsrechtssystem, Babyklappen. Psychologische Beratung und Beistand während einer Problemschwangerschaft sowie Hilfe bei z.B. Wochenbettdepressionen sind nicht schwerer zu organisieren als ein Beratungsgespräch und eine Abtreibung.
Ich bezweifle, dass es für Wilderer immer leichter ist, andere Einkommensquellen aufzutun.
Zugegebenermaßen verfüge ich nicht über detaillierte Kentnisse zum Thema der Ursachen illegalen Raubbaus an der Natur in Entwicklungsländern.
Ich denke jedoch, man kann gar nicht oft genug betonen, dass es in den meisten Ländern der sogenannten westlichen Welt genug Alternativen zur Abtreibung gibt. Sei es der Zugang zu Verhütungsmitteln aller Art, Begleitung einer schwierigen Schwangerschaft oder eine Versorgung im Sinne von anonymer Geburt mit Freigabe des Kindes zur Adoption.
Achja, natürlich ist es leichter, das Problem zu lösen bevor ein Kind daraus wird.
Nach der Befruchtung heißt das entstandene Lebewesen zunächst Zygote, dann Morula, Blastocyste, schließlich Embryo und im letzten Entwicklungsstadium Fötus. Doch zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung ist es ein menschliches Wesen, dessen Chromosomenzahl und -Art es nicht nur als seiner Spezies und einem bestimmten biologischen Geschlecht zugehörig, sondern auch als mit seinen Eltern verwandt definieren.
Das Geschlecht ist etwa ab der 15. Woche sichtbar, ab der 18. Woche schluckt der Fötus Fruchtwasser, nur eine Woche weiter bewegt er sich wahrnehmbar und auch die Herztöne sind bereits stark genug, um hörbar zu werden.
Doch sollte es hier wirklich um die menschliche Gestalt gehen?
Was genau ist denn diese menschliche Gestalt?
Kann man die verlieren, z.B. durch einen entstellenden Unfall mit großflächigen Verbrennungen im Gesicht? Oder wenn man im Alter einen Buckel bekommt?
Gehört da ein bestimmtes Denk- und Artikulationsvermögen dazu? Wie niedrig muss ein IQ sein, damit die betreffende Person kein Mensch mehr ist?
Entweder der Mensch ist Mensch, weil er Mensch ist, oder er ist nichts.
Doch lassen wir doch die Abtreibungsbefürworter selbst sprechen: Was ist denn also das, was nach einer Abtreibung übrig bleibt?
Wie jetzt?
Es ist menschlich genug, um für die Forschung von Interesse zu sein?
Aha.
Mann kann also menschliches Material davon gewinnen... Aber es hat keine Menschenrechte, bzw. kein Recht auf Leben als Mensch. Klar.
Wie genau kann man das (begrifflich) fassen?
Wie jetzt?
Es ist ein Junge?
Ich dachte, es gibt sowas wie Kinderrechte... Und die würden für Jungen jeden Alters gelten, ebenso wie für Mädchen?
Übrigens definiert die UN Kinderrechtskonvention, dass "jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat" ein Kind ist.
Von einer Einschränkung nach unten steht da nichts. Weder "nach der Geburt" noch "ab der [xy-sten] Woche nach der Empfängnis".
In Artikel 6 ist dagegen zu Lesen, dass jedes Kind ein Recht auf Leben hat.
Samstag, 15. August 2015
Fandom - oder: warum es manchmal echt nervt, ein Mädchen zu sein
Also.
Ebenfalls aus der Kategorie Gelegenheitsbeitrag:
Eine Geschichte, die ich schon schriftstellerisch verarbeiten wollte seit sie passiert ist:
Eines Tages nach Unterrichtsschluss wurde ich noch im Schulgebäude von meinen beiden damaligen besten Freundinnen bestürmt, die mir, erstaunlich frei von Sachinformationen, ihre neue Lieblingsband vorstellten.
Wir waren 5. Klasse und es handelte sich um eine Boygroup. Genau so ein, bei der ich nur anderthalb Jahre später sagen würde: "Ach, da hat mal wieder son Manager ne Dose aufgemacht." Übrigens ohne dabei MEINER Boygroup untreu zu werden. Erwachsen werden ist nicht logisch. Es gibt keine sinnvolle Reihenfolge und nur lose Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Aspekten der jugendlichen Entwicklung. Wobei das meist nur die Eltern stört, oder sagen wir mal, die Eltern sind die einzigen, die es immer stört, weil sie es voll mitkriegen.
Egal. Also. Das sind die und die und die sind voll gut und du musst dir jetzt einen Liebling aussuchen. Wir waren inzwischen im Erdgeschoss des altehrwürdigen Schulgebäudes angekommen und eine der Beiden hielt mir eine Postkarte mit vier grinsenden Anfangzwanzigern entgegen.
Öhh, ja ne. Also.
Obwohl sie sich im Gegensatz zu mir der Tragweite dieser Entscheidung bewusst waren, ließen sie mir nicht viel Zeit dazu.
Mir doch egal. "Ich nehm den."
Das geht nicht, das ist meiner.
Jetzt echt? "Okay, dann den."
Das geht nicht, das ist meiner.
Oh Mann, was fragt ihr mich dann wenn die eh alle egal aussehen? "Dann halt den."
Super dann ist das jetzt dein Liebling. Der heißt Ben.
Aha. Schön. Kann ich jetzt nach Hause gehen? Hab grad n tollen Pferderoman am Start.
Ich vergaß die Sache schnell wieder. Ging mich auch nicht viel an. Mein Musikgeschmack war nicht wirklich vorhanden und mir gefiel sowohl das - jetzt immer von EINER GANZ BESTIMMTEN BAND kommende - Mainstream Zeug, welches mir meine Freundinnen in der Pause vorspielten und auf selbstgemachten Tapes mitgaben, als auch das, was der Sender meiner Mütter - Radio 1 - so spielte. Das ebenjene Tapes, mit denen meine Freundinnen mein musikalisches Umfeld infizierten, inzwischen einen Großteil unserer Autofahrten bestimmten, dürfte eher meine Mütter genervt haben. Ohne Musik im Auto wurde mir nämlich bei längeren Fahrten schlecht. Also richtig. Mit Kotztüte und so. Aber es durfte auch mal eine halbe Stunde Radio 1 sein. Oder Silly, von meiner Mama, oder Dalia Lavi, von ihrer Freundin. Wie gesagt. Mein Musikgeschmack war... - äh... Flexibel.
Doch eines schönen Tages bemerkte meine eine beste Freundin, dass die Sammlung von Pferdepostern an einer meiner Zimmerwände nicht mehr altersangemessen sei. Sie hatte mir auch gleich ein passenderes Poster mitgebracht, NATÜRLICH von dieser Boygroup.
Ich stand vor der Wand und grübelte.
Die Poster waren in einem gleichmäßig asymmetrischen Muster angeordnet, dessen geordnete Unordnung sich aus gleichem Abstand zwischen den Postern verschiedener Größe und Formatierung ergab, sowie aus sich ergänzenden Farbkombinationen von Pferd und Hintergrund der benachbarten Poster.
Zu allem Überfluss war das neue Boygroup Poster auch noch sehr groß, so dass ich mich es eigentlich nur an zentraler Stelle sinnvoll einordnen könnte; da, wo jetzt meine drei Lieblingsbilder versammelt waren. Ich musste also die umsortieren, so, dass sie immer noch einen würdigen Platz fanden, und dafür an anderer Stelle welche rausnehmen.
An diesem Abend habe ich so etwa 12 Poster umgehängt und vier aussortiert um das neue unterzubringen. Und mich dann von drei Typen anglotzen zu lassen, die grinsend über meiner Tapete thronten.
Muss ich erst erwähnen, dass im Laufe meiner Pubertät die Pferdeposter immer weiter zurückgedrängt wurden? Natürlich hatte ich mit 15 keine PFERDE mehr an der Wand!
Dabei war meine Faszination für diese Geschöpfe eigentlich ehrlicher. Immerhin hatte ich schon mal welche getroffen.
Mein Onkel war Jockey gewesen und - nachdem der Reitstall mit dem Ende der DDR Pleite gegangen war - Reitlehrer. Ich hatte also zumindest in den Ferien immer Reitstunden genommen, während wir in der Schule aufgrund Lehrermangels nicht mal richtigen Musikunterricht hatten. Selbst wenn: die Beatles waren da schon angekommen, aber Mainstream Pop? Nö.
Umso peinlicher, als wir in der 8. Klasse am Gymnasium unsere Lieblingsbands vorstellen sollten. In der Achten hat man doch keine Lieblingsband! Jedenfalls nicht als Mädchen: Man ist gerade erst dabei, die Erkenntnis zu verdauen, dass Boygroups keine Bands sind!!!
Also wozu das Ganze?
Wieso schwärmt jedes Mädchen genau in dem Alter, wo man UM HIMMELS WILLEN nichts peinliches machen will, für irgend einen becknackten Teenieschauspieler oder für eine blöde Boygroup?
Einfach wie desillusionierend: Sie braucht einen imaginären Partner für ihre gerade erwachende Sexualität.
So tritt das erste unbestimmte Gefühl, dass sich da unten was schön anfühlt, ins Licht der Aufklärung und die kindliche Spielerei wird zur Masturbationsphantasie.
Ebenfalls aus der Kategorie Gelegenheitsbeitrag:
Eine Geschichte, die ich schon schriftstellerisch verarbeiten wollte seit sie passiert ist:
Eines Tages nach Unterrichtsschluss wurde ich noch im Schulgebäude von meinen beiden damaligen besten Freundinnen bestürmt, die mir, erstaunlich frei von Sachinformationen, ihre neue Lieblingsband vorstellten.
Wir waren 5. Klasse und es handelte sich um eine Boygroup. Genau so ein, bei der ich nur anderthalb Jahre später sagen würde: "Ach, da hat mal wieder son Manager ne Dose aufgemacht." Übrigens ohne dabei MEINER Boygroup untreu zu werden. Erwachsen werden ist nicht logisch. Es gibt keine sinnvolle Reihenfolge und nur lose Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Aspekten der jugendlichen Entwicklung. Wobei das meist nur die Eltern stört, oder sagen wir mal, die Eltern sind die einzigen, die es immer stört, weil sie es voll mitkriegen.
Egal. Also. Das sind die und die und die sind voll gut und du musst dir jetzt einen Liebling aussuchen. Wir waren inzwischen im Erdgeschoss des altehrwürdigen Schulgebäudes angekommen und eine der Beiden hielt mir eine Postkarte mit vier grinsenden Anfangzwanzigern entgegen.
Öhh, ja ne. Also.
Obwohl sie sich im Gegensatz zu mir der Tragweite dieser Entscheidung bewusst waren, ließen sie mir nicht viel Zeit dazu.
Mir doch egal. "Ich nehm den."
Das geht nicht, das ist meiner.
Jetzt echt? "Okay, dann den."
Das geht nicht, das ist meiner.
Oh Mann, was fragt ihr mich dann wenn die eh alle egal aussehen? "Dann halt den."
Super dann ist das jetzt dein Liebling. Der heißt Ben.
Aha. Schön. Kann ich jetzt nach Hause gehen? Hab grad n tollen Pferderoman am Start.
Ich vergaß die Sache schnell wieder. Ging mich auch nicht viel an. Mein Musikgeschmack war nicht wirklich vorhanden und mir gefiel sowohl das - jetzt immer von EINER GANZ BESTIMMTEN BAND kommende - Mainstream Zeug, welches mir meine Freundinnen in der Pause vorspielten und auf selbstgemachten Tapes mitgaben, als auch das, was der Sender meiner Mütter - Radio 1 - so spielte. Das ebenjene Tapes, mit denen meine Freundinnen mein musikalisches Umfeld infizierten, inzwischen einen Großteil unserer Autofahrten bestimmten, dürfte eher meine Mütter genervt haben. Ohne Musik im Auto wurde mir nämlich bei längeren Fahrten schlecht. Also richtig. Mit Kotztüte und so. Aber es durfte auch mal eine halbe Stunde Radio 1 sein. Oder Silly, von meiner Mama, oder Dalia Lavi, von ihrer Freundin. Wie gesagt. Mein Musikgeschmack war... - äh... Flexibel.
Doch eines schönen Tages bemerkte meine eine beste Freundin, dass die Sammlung von Pferdepostern an einer meiner Zimmerwände nicht mehr altersangemessen sei. Sie hatte mir auch gleich ein passenderes Poster mitgebracht, NATÜRLICH von dieser Boygroup.
Ich stand vor der Wand und grübelte.
Die Poster waren in einem gleichmäßig asymmetrischen Muster angeordnet, dessen geordnete Unordnung sich aus gleichem Abstand zwischen den Postern verschiedener Größe und Formatierung ergab, sowie aus sich ergänzenden Farbkombinationen von Pferd und Hintergrund der benachbarten Poster.
Zu allem Überfluss war das neue Boygroup Poster auch noch sehr groß, so dass ich mich es eigentlich nur an zentraler Stelle sinnvoll einordnen könnte; da, wo jetzt meine drei Lieblingsbilder versammelt waren. Ich musste also die umsortieren, so, dass sie immer noch einen würdigen Platz fanden, und dafür an anderer Stelle welche rausnehmen.
An diesem Abend habe ich so etwa 12 Poster umgehängt und vier aussortiert um das neue unterzubringen. Und mich dann von drei Typen anglotzen zu lassen, die grinsend über meiner Tapete thronten.
Muss ich erst erwähnen, dass im Laufe meiner Pubertät die Pferdeposter immer weiter zurückgedrängt wurden? Natürlich hatte ich mit 15 keine PFERDE mehr an der Wand!
Dabei war meine Faszination für diese Geschöpfe eigentlich ehrlicher. Immerhin hatte ich schon mal welche getroffen.
Mein Onkel war Jockey gewesen und - nachdem der Reitstall mit dem Ende der DDR Pleite gegangen war - Reitlehrer. Ich hatte also zumindest in den Ferien immer Reitstunden genommen, während wir in der Schule aufgrund Lehrermangels nicht mal richtigen Musikunterricht hatten. Selbst wenn: die Beatles waren da schon angekommen, aber Mainstream Pop? Nö.
Umso peinlicher, als wir in der 8. Klasse am Gymnasium unsere Lieblingsbands vorstellen sollten. In der Achten hat man doch keine Lieblingsband! Jedenfalls nicht als Mädchen: Man ist gerade erst dabei, die Erkenntnis zu verdauen, dass Boygroups keine Bands sind!!!
Also wozu das Ganze?
Wieso schwärmt jedes Mädchen genau in dem Alter, wo man UM HIMMELS WILLEN nichts peinliches machen will, für irgend einen becknackten Teenieschauspieler oder für eine blöde Boygroup?
Einfach wie desillusionierend: Sie braucht einen imaginären Partner für ihre gerade erwachende Sexualität.
So tritt das erste unbestimmte Gefühl, dass sich da unten was schön anfühlt, ins Licht der Aufklärung und die kindliche Spielerei wird zur Masturbationsphantasie.
Freitag, 14. August 2015
Krankengeschichten
Eine liebe Freundin sagte neulich bei einem Besuch, ich müsse nun aber wirklich mal wieder was bloggen...
Recht hat sie, und in meinem Kopf schwirren vor allem drei Themen rum.
Ich habe es mir in einigen meiner letzten Beiträge leicht gemacht, indem ich mein neues Glück verarbeitet und verteidigt habe.
Auch mein Beitrag zum Tag des Heiligen Jakobus beruht auf eigenen Erfahrungen und sogar meine erste Bibelexegese - oder, besser gesagt, irgendwie so das was ich mir halt dazu glaubend denke - referiert etwas, dass mich ganz persönlich angeht: Ich bin nämlich so eine Nervensäge.
Demgegenüber sind die mir im Kopf rumgeisternden Themen eher schwieriger. Teilweise einfach nur komplexer oder schwerer zu erklären, aber zum Teil auch einfach nerviger, trauriger und blöder.
Immerhin hab ich ja eine Ausrede: Bis Dienstag war ich noch im Krankenhaus, weil mein Knöchelgelenk operiert werden musste. Selbiges hatte ich mir ziemlich zerstört, als ich mit dem Fahrrad in eine Straßenbahnschiene gerutscht und draufgefallen war: Alle 5 Bänder gerissen, Gelenk verschoben, bissl was vom Knochen abgesplittert und letztere im Mark geschwollen (wusste gar nicht, dass es sowas gibt). Aber nix gebrochen. Na das brauch ich jetzt auch nicht mehr.
Wer jetzt denkt, ich hing also da so mit traurigen Gedanken... Der kennt mich einfach nicht.
Blos, dass die Liebsegedichte (siehe oben) zum verbloggen zu intim wurden.
Außerdem kann ich jetzt guten Gewissens dieses Buch empfehlen.
Also gibt es erst mal eine Krankenhausgeschichte:
Meine Zimmergenossin, ebenfalls ein Fahrradunfall, wird gerade abgeholt, als die Ruferin zu Zahlen übergeht.
"300. 320! 330! 340!"
Vorher gab es alle Tage lang "Hallo!", "Monika!", seltener "Hilfe!" Dabei kaum echte Verzweiflung, sondern der allgemeine Frust der antwortlosen Vergeblichkeit, welcher sich unter die zunehmend trotzige Beharrlichkeit mischte.
Es ist heiß, gestern waren teils 40 Grad, alle Türen und Fenster stehen offen.
"9. 12! 24. 8! ..."
Die Zahlenkolonnen, jede einzeln mit ihrem Ausrufungszeichen, werden sinnloser.
Mein Fuß, der sich mittags bequemt, auch bei einiger Bewegung schmerzfrei zu bleiben, veranlasst mich zum Duschen.
Vom Rauschen der Mischbatterie verdeckt, dazu vereinzeltes Klingen, wenn ein Wassertropfen direkt auf dem großen metallenen Abflussdeckel landet, bekomme ich den Wechsel von Zahlen- zu Wortkolonnen nicht mit.
Ein einleitendes "Monika hilf mir!" dringt durch, dann vereinzelt immer dasselbe "überholen bitte!" oder so.
Ich stelle mir vor, wie ich mich zu ihr setze und sie interviewe.
Was wohl die Zahlen bedeuten? Und wer ist Monika?
"Mit dem Fahrschein überholen!" und "Moni! Fahrschein untersuchen!" - oder war es, erneut, "überholen"? - dringen in meine Gedanken.
Vielleicht könnte man ihr auch den Fernseher anstellen.
Gelegentlich brüllt ein Mann, dessen Zimmer wohl näher an ihrem liegt als meins, "Halt die Fresse!" Manchmal auch: "Jetzt ist aber gut!" was auch nur als Text besser klingt.
Derselbe schimpft laut, als es mit einer Untersuchung dauert. Die Visite, bei der selbige angeordnet wurde, läuft noch.
Eine Pflegerin, die kurz darauf Blutdruck, Temperatur und Puls misst, wird lautstark angemeckert. Er lässt sie gar nicht zu Wort kommen. Ich versuche, ihre Sätze, die von ihm allesamt nach dem ersten Wort abgehackt werden, zusammenzusetzen. Einmal kommt sie bis zum dritten Wort.
"A und fünf bitte neun wählen!" tönt es mehrmals, die Frau im Einzelzimmer nebenan hat Besuch bekommen. Ihr Mann, der jeden Tag mit Kühltasche kommt, fönt ihr die Haare.
"B und C überwiesen!" "Ach da bist du ja. Ich wäre fast an dir vorbeigelaufen." Die Stimme einer jungen Frau, nicht übertrieben fröhlich, sondern erkennbar erfreut, die Ruferin zu sehen.
Einen Moment wird es ruhig.
Liebevoll und vertraut klang die Junge und ich stelle sie mir automatisch schön vor.
Dann geht das Rufen weiter.
Leise, kaum zu bemerken, setzt die Junge ihren Gesprächsversuch fort. Gelegentlich unterbricht die Ruferin ihre Beschäftigung, um etwas zu antworten, leise, in gerade noch hörbar vertrautem Ton.
Mit jemandem sprechen, dessen Geist ständig von sinnlosem Rufen umnebelt wird; sich hinter den eigenen Tönen versteckt wie hinter Wolken.
"A und B runterkommen!" ruft es.
Und, ganz neu, "Läuse!"
Recht hat sie, und in meinem Kopf schwirren vor allem drei Themen rum.
Ich habe es mir in einigen meiner letzten Beiträge leicht gemacht, indem ich mein neues Glück verarbeitet und verteidigt habe.
Auch mein Beitrag zum Tag des Heiligen Jakobus beruht auf eigenen Erfahrungen und sogar meine erste Bibelexegese - oder, besser gesagt, irgendwie so das was ich mir halt dazu glaubend denke - referiert etwas, dass mich ganz persönlich angeht: Ich bin nämlich so eine Nervensäge.
Demgegenüber sind die mir im Kopf rumgeisternden Themen eher schwieriger. Teilweise einfach nur komplexer oder schwerer zu erklären, aber zum Teil auch einfach nerviger, trauriger und blöder.
Immerhin hab ich ja eine Ausrede: Bis Dienstag war ich noch im Krankenhaus, weil mein Knöchelgelenk operiert werden musste. Selbiges hatte ich mir ziemlich zerstört, als ich mit dem Fahrrad in eine Straßenbahnschiene gerutscht und draufgefallen war: Alle 5 Bänder gerissen, Gelenk verschoben, bissl was vom Knochen abgesplittert und letztere im Mark geschwollen (wusste gar nicht, dass es sowas gibt). Aber nix gebrochen. Na das brauch ich jetzt auch nicht mehr.
Wer jetzt denkt, ich hing also da so mit traurigen Gedanken... Der kennt mich einfach nicht.
Blos, dass die Liebsegedichte (siehe oben) zum verbloggen zu intim wurden.
Außerdem kann ich jetzt guten Gewissens dieses Buch empfehlen.
Also gibt es erst mal eine Krankenhausgeschichte:
Meine Zimmergenossin, ebenfalls ein Fahrradunfall, wird gerade abgeholt, als die Ruferin zu Zahlen übergeht.
"300. 320! 330! 340!"
Vorher gab es alle Tage lang "Hallo!", "Monika!", seltener "Hilfe!" Dabei kaum echte Verzweiflung, sondern der allgemeine Frust der antwortlosen Vergeblichkeit, welcher sich unter die zunehmend trotzige Beharrlichkeit mischte.
Es ist heiß, gestern waren teils 40 Grad, alle Türen und Fenster stehen offen.
"9. 12! 24. 8! ..."
Die Zahlenkolonnen, jede einzeln mit ihrem Ausrufungszeichen, werden sinnloser.
Mein Fuß, der sich mittags bequemt, auch bei einiger Bewegung schmerzfrei zu bleiben, veranlasst mich zum Duschen.
Vom Rauschen der Mischbatterie verdeckt, dazu vereinzeltes Klingen, wenn ein Wassertropfen direkt auf dem großen metallenen Abflussdeckel landet, bekomme ich den Wechsel von Zahlen- zu Wortkolonnen nicht mit.
Ein einleitendes "Monika hilf mir!" dringt durch, dann vereinzelt immer dasselbe "überholen bitte!" oder so.
Ich stelle mir vor, wie ich mich zu ihr setze und sie interviewe.
Was wohl die Zahlen bedeuten? Und wer ist Monika?
"Mit dem Fahrschein überholen!" und "Moni! Fahrschein untersuchen!" - oder war es, erneut, "überholen"? - dringen in meine Gedanken.
Vielleicht könnte man ihr auch den Fernseher anstellen.
Gelegentlich brüllt ein Mann, dessen Zimmer wohl näher an ihrem liegt als meins, "Halt die Fresse!" Manchmal auch: "Jetzt ist aber gut!" was auch nur als Text besser klingt.
Derselbe schimpft laut, als es mit einer Untersuchung dauert. Die Visite, bei der selbige angeordnet wurde, läuft noch.
Eine Pflegerin, die kurz darauf Blutdruck, Temperatur und Puls misst, wird lautstark angemeckert. Er lässt sie gar nicht zu Wort kommen. Ich versuche, ihre Sätze, die von ihm allesamt nach dem ersten Wort abgehackt werden, zusammenzusetzen. Einmal kommt sie bis zum dritten Wort.
"A und fünf bitte neun wählen!" tönt es mehrmals, die Frau im Einzelzimmer nebenan hat Besuch bekommen. Ihr Mann, der jeden Tag mit Kühltasche kommt, fönt ihr die Haare.
"B und C überwiesen!" "Ach da bist du ja. Ich wäre fast an dir vorbeigelaufen." Die Stimme einer jungen Frau, nicht übertrieben fröhlich, sondern erkennbar erfreut, die Ruferin zu sehen.
Einen Moment wird es ruhig.
Liebevoll und vertraut klang die Junge und ich stelle sie mir automatisch schön vor.
Dann geht das Rufen weiter.
Leise, kaum zu bemerken, setzt die Junge ihren Gesprächsversuch fort. Gelegentlich unterbricht die Ruferin ihre Beschäftigung, um etwas zu antworten, leise, in gerade noch hörbar vertrautem Ton.
Mit jemandem sprechen, dessen Geist ständig von sinnlosem Rufen umnebelt wird; sich hinter den eigenen Tönen versteckt wie hinter Wolken.
"A und B runterkommen!" ruft es.
Und, ganz neu, "Läuse!"
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