Freitag, 14. August 2015

Krankengeschichten

Eine liebe Freundin sagte neulich bei einem Besuch, ich müsse nun aber wirklich mal wieder was bloggen...
Recht hat sie, und in meinem Kopf schwirren vor allem drei Themen rum.

Ich habe es mir in einigen meiner letzten Beiträge leicht gemacht, indem ich mein neues Glück verarbeitet und verteidigt habe.
Auch mein Beitrag zum Tag des Heiligen Jakobus beruht auf eigenen Erfahrungen und sogar meine erste Bibelexegese - oder, besser gesagt, irgendwie so das was ich mir halt dazu glaubend denke - referiert etwas, dass mich ganz persönlich angeht: Ich bin nämlich so eine Nervensäge.

Demgegenüber sind die mir im Kopf rumgeisternden Themen eher schwieriger. Teilweise einfach nur komplexer oder schwerer zu erklären, aber zum Teil auch einfach nerviger, trauriger und blöder.

Immerhin hab ich ja eine Ausrede: Bis Dienstag war ich noch im Krankenhaus, weil mein Knöchelgelenk operiert werden musste. Selbiges hatte ich mir ziemlich zerstört, als ich mit dem Fahrrad in eine Straßenbahnschiene gerutscht und draufgefallen war: Alle 5 Bänder gerissen, Gelenk verschoben, bissl was vom Knochen abgesplittert und letztere im Mark geschwollen (wusste gar nicht, dass es sowas gibt). Aber nix gebrochen. Na das brauch ich jetzt auch nicht mehr.

Wer jetzt denkt, ich hing also da so mit traurigen Gedanken... Der kennt mich einfach nicht.

Blos, dass die Liebsegedichte (siehe oben) zum verbloggen zu intim wurden.
Außerdem kann ich jetzt guten Gewissens dieses Buch empfehlen.

Also gibt es erst mal eine Krankenhausgeschichte:


Meine Zimmergenossin, ebenfalls ein Fahrradunfall, wird gerade abgeholt, als die Ruferin zu Zahlen übergeht.
"300. 320! 330! 340!"
Vorher gab es alle Tage  lang "Hallo!", "Monika!", seltener "Hilfe!" Dabei kaum echte Verzweiflung, sondern der allgemeine Frust der antwortlosen Vergeblichkeit, welcher sich unter die zunehmend trotzige Beharrlichkeit mischte.
Es ist heiß, gestern waren teils 40 Grad, alle Türen und Fenster stehen offen.
"9. 12! 24. 8! ..."
Die Zahlenkolonnen, jede einzeln mit ihrem Ausrufungszeichen, werden sinnloser.
Mein Fuß, der sich mittags bequemt, auch bei einiger Bewegung schmerzfrei zu bleiben, veranlasst mich zum Duschen.
Vom Rauschen der Mischbatterie verdeckt, dazu vereinzeltes Klingen, wenn ein Wassertropfen direkt auf dem großen metallenen Abflussdeckel landet, bekomme ich den Wechsel von Zahlen- zu Wortkolonnen nicht mit.
Ein einleitendes "Monika hilf mir!" dringt durch, dann vereinzelt immer dasselbe "überholen bitte!" oder so.

Ich stelle mir vor, wie ich mich zu ihr setze und sie interviewe.
Was wohl die Zahlen bedeuten? Und wer ist Monika?
"Mit dem Fahrschein überholen!" und "Moni! Fahrschein untersuchen!" - oder war es, erneut, "überholen"? - dringen in meine Gedanken.

Vielleicht könnte man ihr auch den Fernseher anstellen.

Gelegentlich brüllt ein Mann, dessen Zimmer wohl näher an ihrem liegt als meins, "Halt die Fresse!" Manchmal auch: "Jetzt ist aber gut!" was auch nur als Text besser klingt.
Derselbe schimpft laut, als es mit einer Untersuchung dauert. Die Visite, bei der selbige angeordnet wurde, läuft noch.
Eine Pflegerin, die kurz darauf Blutdruck, Temperatur und Puls misst, wird lautstark angemeckert. Er lässt sie gar nicht zu Wort kommen. Ich versuche, ihre Sätze, die von ihm allesamt nach dem ersten Wort abgehackt werden, zusammenzusetzen. Einmal kommt sie bis zum dritten Wort.

"A und fünf bitte neun wählen!" tönt es mehrmals, die Frau im Einzelzimmer nebenan hat Besuch bekommen. Ihr Mann, der jeden Tag mit Kühltasche kommt, fönt ihr die Haare.

"B und C überwiesen!" "Ach da bist du ja. Ich wäre fast an dir vorbeigelaufen." Die Stimme einer jungen Frau, nicht übertrieben fröhlich, sondern erkennbar erfreut, die Ruferin zu sehen.
Einen Moment wird es ruhig.
Liebevoll und vertraut klang die Junge und ich stelle sie mir automatisch schön vor.
Dann geht das Rufen weiter.
Leise, kaum zu bemerken, setzt die Junge ihren Gesprächsversuch fort. Gelegentlich unterbricht die Ruferin ihre Beschäftigung, um etwas zu antworten, leise, in gerade noch hörbar vertrautem Ton.

Mit jemandem sprechen, dessen Geist ständig von sinnlosem Rufen umnebelt wird; sich hinter den eigenen Tönen versteckt wie hinter Wolken.

"A und B runterkommen!" ruft es.
Und, ganz neu, "Läuse!"

1 Kommentar:

  1. Sinnloses Rufen kenne ich aus meiner Arbeit als Betreuungsassistentin im Pflegeheim. Hallo hallo hallo - laut, fordernd, durchdringend, stundenlang und vollkommen unbewußt. Auf die Frage: "Was gibt es denn, Frau N.?" regelmäßig die Antwort: "Nichts, was soll sein?"
    Man könnte das vielleicht durch Medikamente mildern. Das ist aber erst möglich, wenn ein Arzt die Angehörigen davon überzeugt, daß sie damit auch den Atemwegen, dem Allgemeinzustand und dem seelischen Befinden der Ruferin einen Gefallen täten. Solange der Verdacht besteht, eine solche Verschreibung könnte auch mit dem Hintergedanken erfolgen, die anderen Bewohner vor der ihnen unverständlichen Schreierei zu schützen, unterbleibt eine solche Verschreibung. Da der Hintergedanke selbstverständlich und nachvollziehbar ist, unterbleibt sie für immer.

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