Sonntag, 22. November 2015

Freiheit herrscht nicht

Christus: König am Kreuz (lizenzfrei über Wikimedia Commons)



"Alle Völker, Nationen und Sprachen müssen ihm dienen. [...] Sein Reich geht niemals unter." (Dan 7,14)
"Der Herr ist König, bekleidet mit Hoheit." (Ps 93,1)
"Ich bin [...] der ist, der war und der kommt, der Herrscher über die ganze Schöpfung" (Off 1,8)


Auf dem Rückweg von der sonntäglichen Messe in der Bahn: eine junge Frau mit einem breitkrempigen schwarzen Hut. Sie hat ihre Beine auf die Kante der Heizung zwischen den Sitzen gestellt, beide, so wie ich es im letzten Jahr auch oft gemacht habe. Eine neckische Pose, die nur dann bequem ist, wenn man schlank ist und verhältnismäßig dünne Beine hat.
Unter ihrem weißen Mantel schaut der Saum eines schwarzen Kleides heraus, dazu passend Nylonstrumpfhosen und Ballerinas in gleicher Farbe. Ihr offenes Haar vollendet den Look, der nicht allzu elegant wirkt, sondern schlicht schön und unaufgeregt.


Diese Pose, die tatsächlich so hübsch aussieht, wie sie sich anfühlt, ist mir ein Freiheitssymbol geworden: Wohl deshalb, weil ich nach jahrelangem Frustfressen in unglücklicher Beziehung meine überflüssigen Pfunde gleich mit dem Ex abgelegt hatte und sich so mit dem neuen Lebens- auch ein ganz verändertes Körpergefühl einstellte.

Die sogenannte westliche Welt ist das Land der großen Freiheiten. Wir können uns zu jeder Religion oder Philosophie bekennen, die wir wollen. Oder auch zu keiner. Wir können wählen, welchem Lebensstil wir uns zuwenden, welchen Dingen wir Priorität einräumen.
Freiheit ist ein kultureller Wert, der nicht nur viele Möglichkeiten öffnet, sondern auch sehr anspruchsvoll ist. Die Möglichkeit, sich selbst auszususchen, woran man sich orientiert, bedeutet auch, dass man Unsicherheiten aushalten muss.
Die Freiheit verrät uns eben nicht, was wir sollen, oder was gut für uns wäre.
Auch ich habe nicht zuletzt davon gelebt, meine eigenen Fehler und Irrtumer begehen zu können. Doch ich habe etwas, das mich orientiert, mir hilft, mir stets bewusst zu sein, wer ich bin. Ich habe aus meinen Irrwegen herausgefunden und kam weiter, reich beschenkt mit Erfahrungswissen, das ich durchaus auch unter Schmerzen erworben habe. Und ich denke, dass ich durchaus einen Blick habe für die Vielschichtigkeit meines Lebens. Und, dass ich diese eben auch deshalb aushalten kann, weil es für mich einen Fixpunkt gibt:
Christus ist König.

Aber Moment!
Ist das nicht zu einfach?
Handelt es sich da vielleicht um dieselbe verführerische Religiosität, die so manchen Muslim erst zum Extremismus und dann in die Fänge gewaltbereiter Gruppierungen treibt?
Ich halte nichts von der Idee, Religionen pauschal als Verführung, also als Gefahr, wahrzunehmen. Leider ist es ein Phänomän der säkularisierten Welt, dass viele Menschen Religion nur als etwas denken, das den Blick trübt, oder allenfalls vielleicht noch als letzten Halt derjenigen, die es zu sonst nichts gebracht haben.
Rufen wir uns in Erinnerung, dass Religionsfreiheit nicht die Freiheit von Religion meint!
Religionsfreiheit garantiert, dass jeder das Recht hat, seine Religion auszuüben. Auch im öffentlichen Raum; sei es im Diskurs oder durch Veranstaltungen.
Das recht, keine Religion auszuüben wird dadurch nicht beeinträchtigt - die Präsenz anderer Meinungen muss man in einer Demokratie aushalten, das gilt für Religionen genau so wie für unterschiedliche polotische Ansichten. Die Neigung, diese beiden Rechte als konkurrierend zu verstehen, halte ich nicht nur für unbedacht, sondern auch für gefährlich.

In den westlichen Demokratien wird die verfassungsmäßig gesichert, dass keine Religion, aber auch kein Religionsverbot herrschen darf. Diese Freiheit kann nicht nur durch religiöse Fanatiker in Frage gestellt werden. Vor allem im gesellschaftlichen Diskurs mit den christlichen Konfessionen wird sie zunehmend in Frage gestellt, ganz nach dem Motto: "Hier herrscht Freiheit von Religion." Doch wer solches sagt, hat die Freiheit bereits verraten.

Freiheit

Zu sagen
hier herrscht Freiheit
ist immer
ein Irrtum
oder eine Lüge:
Freiheit
herrscht nicht.

(Erich Fried)


Was aber ist nun mit den für genau heute vorgesehenen Bibelstellen, die Christus als König und Herrscher darstellen?
Am heutugen Sonntag feiert die katholische Kirche das Fest Christkönig, das auch von einigen protestantischen und der anglikanischen Kirche begangen wird.
Also doch ein religiöser Herrschaftsanspruch?

Das Tagesevangelium zeigt uns Jesus vor Pilatus.
Eben kein mächtiger Weltenherrscher, sondern der, der sich für uns dem Tod ausliefert, wie es auch einige Verse vor der oben von mir zitierten Stelle in der Offenbarung heißt: "Er liebt uns und hat uns von unseren Sünden erlöst durch sein Blut, er hat uns zu Königen gemacht und zu Priestern vor Gott" (Off 1,6-7).
"Mein Königtum ist nicht von dieser Welt.", sagt Jesus zu Pilatus (Joh 18,36), und lässt sich zum Tode verurteilen.

Was also sagt dieses Fest?
Es will die Gläubigen daran erinnern, dass sie zwar in der Welt leben, aber, in Kreuz und Auferstehung verbunden mit Jesus, nicht von der Welt sind.
In der Nazizeit wurde das Fest, damals noch im Oktober gelegen, als Gegengewicht gegen die Ideologie der Nazis und den dort herrschenden Führerkult verstanden. Christus ist es, der den Christen verbindliche Maßstäbe setzt, und kein weltlicher Herrscher kann diese Maßstäbe aushebeln - in Zeiten von Diktatur und Terror heißt das zunächst einmal, passiven Widerstand zu üben, Verfolgten zu helfen und sich selbst nicht an Hetze und Kult zu beteiligen.
In den Herzen der Christen soll Christus als König regieren: weder die Verführungen von Macht, Wohlstand und Vergnügen, noch Ängste oder Anbiederung an politische Verhältnisse sollen dagegen ankommen.
Das Reich Christi gibt es nicht als weltliches Territorium. Es existiert nur dort, wo die Liebe und Barmherzigkeit Gottes in den Herzen der Gläubigen regiert und sie selbst liebevoll und barmherzig werden lässt.

Unabhängig davon, ob wir eine solche Weltsicht teilen können oder nicht: Wir sollten uns nicht irre machen lassen. Religionen können zwar extremistische Ideologien hervorbringen, doch es gibt in der Geschichte auch genug Beispiele für extremistische Ideologien ohne religiösen Hintergrund.

Vergessen wir nicht, dass Freiheit und Beliebigkeit nicht dasselbe sind: Freiheit heißt eben nicht nur, dass mir erst mal nichts verboten und geboten wird, sondern auch, dass ich anderen nicht einfach so etwas ge- oder verbieten darf. Freiheit bedeutet nicht, dass mir das Ergebnis meines Handelns egal sein darf. Freiheit kennt nicht nur Verantwortung, sie bürdet einem auch mehr Verantwortung auf, als Unfreiheit. Denn wenn keiner sagt, dass man z.B. seinen One Night Stand nicht der Gefahr der Ansteckung an STI aussetzt, bedeutet das eben nicht, dass es gut wäre, den Partner dieser Gefahr auszusetzen, sondern es bedeutet, dass man sich von selbt seiner Verantwortung für den anderen Menschen bewusst sein sollte; auch dann, wenn dieselbe eben nicht länger anhält als eine Nacht. {Immerhin gibt es ja so etwas wie Kondome; es ist also beileibe nicht so, dass man nur deswegen keine Beziehung oder eben One Night Stands haben könnte...}

Die Freiheit, die wir verteidigen - sei es mit Artikeln, Gebeten, Symbolen in Facebookprofilen oder sonstigen Zeichen der Anteilnahme - gilt für mich und meinen sonntäglichen Weg zur Messe genau so wie für all diejenigen, die den Sonntag anders verbringen.


Die junge Frau muss an derselben Station aussteigen wie ich.
In der verhältnismäßig leeren Bahn erinnert nichts an die Terrorwarnungen, die nach den Anschlägen von Paris ganz Europa verunsichern.
Ich denke an Brüssel, und hoffe, dass ich auch in den nächsten Wochen noch ungestört mit den Öffentlichen durch Berlin fahren und dabei nachdenken kann.

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