Nach langer Abwesenheit haben sich bei mir verschiedene Blogideen angestaut und ich weiß eigentlich gar nicht, womit ich anangen soll...
... also mache ich einfach was ganz anderes.
Nun denn:
Aus aktuellem Anlass werde ich mir mal das Wahlprogramm der AfD ansehen.
Kann man die für eine ernsthaft wählbare Partei halten?
Das öffentliche Gebahren ihres Personals spricht dagegen und, wie ich finde, ihre Plakate auch, die ich größtenteils als Sammelplatz peinlicher Plattitüden wahrnehme.
Aber was sagt das Progamm?
Das Erste was mir auffällt ist die Aussage, die Rechtsstaatlichkeit müsse wiederhergestellt werden, und, ein Stück weiter, mit den Verträgen von Maastricht, Schengen und Lissabon sei rechtswiedrig in die Volkssouverenität eingegriffen worden.
Ähh...ja. Bin ich hier richtig? Ist das ein Parteiprogramm oder doch die Vereinssatzung der Aluhüte?
Die Staaten haben ihre Grenzhoheit keineswegs aufgegeben, wie im Weiteren die Aussage zu den o.g. Abkommen begründet wird, sondern nur die Form verändert in der sie diese wahrnehmen. Dies ist durch entsprechende Gesetze bzw. Gesetzesänderungen in den teilnehmenden Ländern geschehen; wie das für Deutschland aussieht kann man z.B. hier nachlesen.
Das Abkommen beinhaltet z.B. Zusammenarbeit der Behörden bei der Strafverfolgung sowie Einheitlichkeit bei der Ausstellung und Verweigerung von Visa für den Schengen Raum und Regelungen zu Kontrollen an dessen Außengrenzen.
Natürlich ist es ein Problem, wenn Länder die Schengen-Außengrenzen haben, z.B. illegal eingereiste einfach weiterleiten, statt sich um die entsprechenden Asylverfahren und ggf. die Abschiebung zu kümmern - sei es nun, weil aus einem der Zielländer entsprechende Signale kommen oder weil die Länder, über die die Menschen einreisen nicht über entsprechende Mittel verfügen, der Ströme Herr zu werden.
Man müsste das mal durchrechnen, ob die Kosten, die aus einer Auflösung des Schengenraumes mit Wiederaufnahme der Grenzkontrollen in jedem einzelnen Land und den Entsprechenden Verkomplizierungen von Außenandelsbeziehungen resultieren würden, tatsächlich niedriger wären als z.B. die Kosten für eine koordinierte europäische Unterstützung von Ländern mit Schengen- Außengrenzen, die diesen Ländern praktisch und effektiv ermöglicht, ihrer Verpflichtung nachzukommen...
Der Vertrag von Maastricht regelt das Spannungsverhältnis zwischen dem Ziel einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der staatlichen Souverenität seiner Mitgliedsstaaten, um nur ein Beispiel zu nennen, so, dass Beschlüsse in der Regel einstimmig gefasst sein müssen. Es kann also kein Staat in seiner Souverenität verletzt werden, indem er überstimmt wird. Dieser Grunsdatz gilt auch für die zweite Säule, die Gemeinsame Innen- und Rechtspolotik.
Das Bunsesverfassungsgericht erklärte in seinem Urteil (BVerfGE 89, 155) vom 12. Oktober 1993 die Vereinbarkeit des Vertrages mit dem Grundgesetz.
Der Vertrag von Lissabon regelt das Verhältnis der Kompetenzen von EU und Mitglietsstaaten genauer in definiert außerdem die Ziele der Union zu denen Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gehören.
Man muss diese also keineswegs gegen die EU verteidigen, wie das Programm der AfD suggeriert.
Die genannten Verträge sind völkerrechtliche Verträge zwischen soueränen Staaten, es ist also überflüssig "Das bestehende 'Lissabon-Europa' [...] zurückzuführen zu einer Organisation von Staaten, die auf der Basis völkerrechtlicher Verträge ihre Interessen und Aufgabenwahrnehmung definieren."
Zwischenfazit.
Dem Progamm ist deutlich anzumerken, dass die AfD vor der Flüchtlingskrise eine reine Anti-EU-Partei war.
Das nächste was mir ins Auge sticht ist die Behauptung, in Deutschland habe sich eine so genannte Oligarchie herausgebildet.
Auch hier gilt: was damit eigentlich gemeint ist ist ausreichend unscharf umrissen, so dass es weder verifizier- noch falsifizierbar ist.
Die Aussage als solche und der damit verbundene argwöhnische Blick auf politische Eliten könnte auch im Progamm einer linksextremen Partei stehen, dort würde freilich in der Formulierung das Wort Kapitalismus vorkommen.
Volksentscheide nach Sschweizer Vorbild, nun ja.
Wie man den politischen Betrieb in so regelt, dass das Spannungsverhältnis zwischen Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit auf der einen und Möglichkeiten zur Kontrolle durch die Bürger auf der anderen Seite fruchtbar ausgestaltet ist, gehört zu den wichtigsten Fragen jeder demokratischen Verfassung.
Den Vorschlag zu Volksentscheiden kann man letztlich nur beurteilen, wenn man sich nicht nur die Unterschiede in den einzelnen Gesetzestexten zu Volksabstimmungen in Deutschland und der Schweiz ansieht, sondern auch vergleicht wie häufig und in was für Fragen Volksentscheide in beiden Ländern in den letzten Jahrzehnten durchgeführt wurden und wie es in den einzelnen Fällen mit der Wahlbeteiligung aussah.
Die Aussage, die CDU würde das deutsche Volk nicht für mündig halten, ist reine Rhetorik. Natürlich flirtet man hier mit dem Gefühl des 'kleinen Bürgers', es werde über seinen Kopf hinweg regiert. Der Nachweis, dass eine Reform des Rechtes zu Volksentscheiden dazu führen würde, dass man sich als Bürger nicht nur weniger machtlos fühlt sondern auch mehr Kompetenzen hat, ist auf theoretischer Ebene nur mit größerem Aufwand zu erbringen, wie ich oben bereits angedeutet habe.
Ähnliches gilt für die Aussagen zu Gewaltenteilung, Trennung von Amt und Mandat, der Macht der Parteien und der Wahl des Bundespräsidenten.
Zur Forderung der Begrenzung von Amtszeiten kann man fragen, ob es wirklich erwünscht ist, dass Politikern keine Gelegenheit gegeben wird, Professionalität zu entwickeln und ob es wirklich so sinnvoll ist, wenn die Regierung mehrheitlich von Personen gestellt wird, die aufgrund mangelnder Erfahrung nicht wissen, wie man politische Prozesse sinnvoll und effizient gestalten kann.
Das Ideal des Bürgerabgeordneten liefert ein gut klingendes Schlagwort. Man sollte jedoch beachten, dass wir nicht in einer Polis leben. Weder sind die Zahlen der zu Regierenden Meschen und die zu entscheidenen Fragen klein genug, als dass jeder da den Überblick behalten könnte, noch ist es so, dass, wie im Falle der griechischen Polis, alle Stimmberechtigten - in der attischen Demokratie 15-20% der Bevölkerung - den ganzen Tag Zeit haben, sich mit politischen Diskussionen zu beschäftigen. Im damaligen Gesellschaftssystem arbeiteten diese nämlich nicht, sondern hatten im wahrsten Sinne des Wortes den ganzen Tag lang nichts zu tun als denken, während die Arbeit größtenteils von Sklaven und anderen Bevölkerungsschichten ohne volle Bürgerrechte erledigt wurde.
Auch hier wird also mit Schlagworten gearbeitet, die sich einer sinnvollen Bewertung eher entziehen.
Bei der Diskussion um die europäische Währungsunion verhält es sich ähnlich; was der Euro uns kostet ist schwer zu überblicken, Noch schwerer ist es, eine realistische Prognose dazu abzugeben, was uns eine Wiedereinführung der D-Mark kosten würde.
Überhaupt stehen viele Aussagen im Programm der AfD, deren Grundlage nicht nachvollziehbar ist.
Ein Beispel dafür ist die Forderung nach "diskriminierungsfreie[m] Zugang zu ausländischen Import- und Exportmärkten für deutsche Unternehmen". Ein Nachweis, dass und inwieweit dieser zur Zeit nicht besteht wird nicht diskutuert - und ist auch kaum als möglich anzusehen.
Zur Einwanderungs- und Asylpolitik ist letztlich nicht viel zu sagen; in dem Sinne als das die Positionen hier nicht überraschen.
Die nicht verifizierte Grundthese, dass eine Gesellschaft zwangsläufig daran zerbrechen müsse, wenn es zu starke abweichende Minderheiten gibt, wäre zu diskutieren.
Die Frage nach der Stabilität unseerer Sozialsysteme ist getrennt davon zu stellen.
Einer Radikalisierung und Abschottung von Minderheiten ist es jedenfalls immer förderlich, wenn diese Minderheiten in ihrer Freiheit und ihren Rechten eingeschränkt werden.
Die Forderungen der AfD nach entsprechenden Einschränkungen und/oder Zwängen zur Integration sind daher kitisch zu sehen.
Zu bemerken ist, dass viele Einschränkungen der Religionsfreiheit die die AfD unter der Überschrift "Der Islam in Konflikt mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" fordert auch alle anderen Religionen betreffen würden.
Dazu nur zwei Beispiele:
Das Verbot einer Verschleierung im Öffentlichen Dienst oder überhaupt in der Öffentlichkeit könnte dazu führen, dass auch Ordensfrauen ihre Tracht nicht mehr tragen können.
Nach dem Verbot von Burkinis am Strand von Cannes machte ein Immam aus Florenz auf dieses Problem aufmerksam, indem er ein entsprechendes Bild auf seiner Facebook Seite postete.
Ähnliches ließe sich über die Eheschließung sagen:
"Die AfD verlangt, eine standesamtliche Eheschließung vor jeder religiösen Trauung rechtlich wieder für verbindlich zu erklären. Religiöse Trauungen können diese staatsrechtliche Voraussetzung zur Anerkennung einer Ehe nicht ersetzen." Dies würde also auch für christliche, jüdische oder schamanische Eheschließungen gelten.
Hier handelt es sich außerdem um eine reine Scheindebatte, da man ja die eherechtlichen Vorteile sowieso nur dann genießen kann, wenn man standesamtlich verheiratet ist - diese Gängelung auf Kosten der Religionsfreiheit ist also überflüssig.
Für die Verhinderung von Kinderehen und ähnlichem sind zivilrechtliche Maßnahmen zu treffen, die letztlich unter den Schutz vor Missbrauch fallen.
Die Forderung, der Religionsausübung Schranken zu setzen wird im Text auf den Islam bezogen, enthält jedoch keine Angaben, die einen Bezug zu anderen Religionen ausschließen.
Wieso sollte man nicht mit der gleichen Argumentation z.B. Frohnleichnamsprozessionen verbieten...?
Die AfD ist nur graduell weniger christenfeindlich als islamfeindlich, man sollte sich da nicht täuschen.
Wie es mit dem Respekt vor Christlichem steht kann man z.B. an dem "Merkel-Unser" sehr gut ablesen. Immerhin das zentrale Gebet der Christenheit, das da für eine billige Verballhornung missbraucht wird.
Die AfD setzt auf eine starke Förderung konservativer Familienmodelle.
Gegen die Stärkug von Familen kann man erst mal nichts sagen; jedoch ist es auch aus christlicher Sicht nicht richtig, Familien in 'ungewöhnlichen Konstellationen' staatlicher Willkür auszusetzen.
Bei Alleinerziehenden z.B. wird vorgeschlagen, vor die Gewährung staatlicher Hilfen eine "Differenzierung, ob diese Lebenssituation schicksalhaft, durch Selbstverschulden oder auf Grund eigener Entscheidung zustande gekommen ist" zu setzen.
Aha. Wer soll das wie beurteilen? Und nach welchen Kriterien?
Wenn sich eine Mutter entscheidet, mit ihrem Kind den Partner zu verlassen, weil sie von diesem ignorant und respektlos behandelt wird - wer sagt dann, was der drei Möglichkeiten hier zutrifft? Kann ihr und dem Kind Hilfe verweigert werden mit der Begründung, es wäre nicht schlimm genug gewesen? Und: hätte sie Hife bekommen, wenn ihr Partner sie 1x öfter am Tag beschimpft hätte? Oder bräuchte sie dann ein psychologisches Gutachten welches ihr bestätigt, dass das Fortführen der Beziehung zum Kindsvater eine unzumutbare Belastung darstellen würde?
Die Konkurrenz zwischen verschiedenen Familienmodellen wird hier auf eine unangemessene und unnötige Weise forciert.
Zur Frage der Gender-Ideologie und Frühsexualisierung an Schulen kann ich nur empfehlen, mal Biologielehrer und Biologielehrerinnen zu fragen, inwieweit bestimmte Ideen denn wirklich im schulischen Unterricht ankommen.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass der Sexualkundeunterricht eher altmodisch ist, Materialien sich vornehmlich auf die Gefahren von sexuell übertragbaren Krankheiten und ungewollter Schwangerschaft konzentrieren und Aspekte von Beziehung, geschlechtlicher Identität und Verantwortung generell zu kurz kommen. In modernen Schulbüchern finden sich immer Bilder von Homo- und Heterosexuellen Paaren, meist züchtig Händchen haltend. Eine übertriebene Idealisierung von homosexueller Liebe ist mir in Schulmaterialien bisher noch nicht begegnet. Solche Materialien existieren natürlich, aber gehen Sie mal in eine beliebige Schule und fragen dort, wie häufig Lehrwerke gegen andere, neuere Materialien ausgetauscht werden...
Das christliche Gebot der Nächstenliebe gilt für alle Menschen und ist nicht an Vorraussetzungen gebunden. Daher sind viele der Ideen, wie die AfD sich die Regelung sozialstaatlicher Leistungen wünscht, nicht mit dem Christentum vereinbar.
Vom Volkswirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen ist die Finanzieung von Sozialleistungen immer problematisch - dabei geht es einerseits um Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und andererseits um den Bezug zwischen Leistung für die und Hilfe von der Gesellschaft.
Man kann jedoch auch nicht jede Leistung in gleicher Weise messen; ein recht eingängiges Beispiel ist hier der Gesamtbereich von Kunst und Kunstschaffenden.
Die Frage nach der Verteilung von Mitteln ist außerdem auch selbst ein Kostenfaktor - je nachdem nach welchen Kriterien Mittel vergeben werden sollen, kostet es Verwaltungsaufwand, nach diesen Kriterien zu bewerten und auszuwählen. Je anfälliger für Willkür die Kirterien sind desdo höher ist außerdem die Gefahr, dass durch Widerspruch und daraus resultierende Verfahren Folgekosten entstehen.
Iniweweit z.B. ein bedingungsolses Grundeinkommen allein durch die Einsparungen an der dann nicht mehr notwengiden Verwaltung finanzierbar wäre, führt hier zu weit, berührt aber das Thema.
Die Suggestion, Sozialleistungen vorurteilsfrei zu verteilen würde das System in seiner finanziellen und sozialen Stabillität gefährden, gehört zu den stilllen Prämissen des Wahlprogramms der AfD und ist, wie alle Fälle dieser Art, bezüglich ihres Wahrheitsgehaltes nur mit sehr großem Aufwand vernünftig zu beurteilen.
Um zu beurteilen, inwieweit das Wahlprogramm der AfD jetzt besonders vernünftig oder unvernünftig ist, müsste ich es letztlich mit den Programmen anderer Parteien vergleichen.
Ich könnte mir z.B. vorstellen, dass sich die von mir wiederholt kritisierten unausgesprochenen Prämissen auch in den Programmen anderer Parteien finden. Behauptungen über den Zustand der Welt, des Landes, der Gesellschaft, die als solche weder zu be- noch zu widerlegen sind, machen wahrscheinlich alle Parteien - nur, dass diese dann eben jeweils anders aussehen.
Ich halte die impliziten Behauptungen die die AfD auf dieser Ebene macht für nicht überzeugend.
Damit ergibt sich letztlich folgendes Fazit:
Wen oder was man wählt ist möglicherweise eher davon abhängig, welche Partei ein dem eignenen ähnliches Weltbild propagiert, als davon, welche konkreten Forderungen sie dann aus diesem Weltbild ableitet.
Das Weltbild, welches sich im Programm der AfD zeigt, ist mit meinem Weltbild nicht kompatibel. Daher halte ich ihren Forderungskatalog als ganzes nicht für sinnvoll. Unabhängig davon, dass ihr Programm durchaus diskutable Einzelposten enthält, kann man diese Partei meiner Meinung nach nicht ernsthaft für wählbar halten.
Zum Titel siehe hier: http://www.textlog.de/tucholsky-besoffener-herr.html |
Danke für dies sorgfältige Auseinanderfieseln der AfD-Forderungen. Wahrlich gruselig.
AntwortenLöschenDas Programm der AfD sieht auch vor, nicht nur Schächtung in Deutschland vollkommen zu verbieten, sondern auch die Einfuhr von geschächtetem Fleisch.
AntwortenLöschenMit anderen Worten: Die Versicherung der AfD, sie sei keineswegs und nie und nimmer antisemitisch, ist großer Quark. Denn das Grundsatzprogramm macht hier lebenden Juden das Leben schwer.